Die einzige Alternative zu kriegerischen und gewalttätigen Handlungen, um einen Konflikt zu lösen, ist das Verhandeln.
Die Verhandlungsführung ist somit als Konfliktlösungsmittel unabdingbar für unser Leben. Denn sie bildet die einzige annehmbare Option für eine nachhaltige Konfliktbewältigung. Das Verhandeln ist hierbei als jedes Tauziehen um Motive und Interessen zu verstehen, ausgenommen kriegerisch-gewalttätige Handlungen.
Das bedeutet, dass Personen, die gut verhandeln, im Leben besser manövrieren können. Ihnen gelingt es tendenziell, eine gute Position im sozialen Geflecht einzunehmen und ihre Lebensziele nachhaltig zu verwirklichen. Da allerdings die Verhandlungsziele eines Menschen im Lebenskontext in der Außenwelt vermeintlich recht klar, aber in der Psyche der Person selbst unklar und trügerisch sein können, beginnt die Verhandlung um solche Aspekte eben nicht in der Außenwelt, sondern in der Person selbst. Erst einmal muss man die eigenen Motive gut verstehen, eine innere Transparenz diesbezüglich erlangen, um den inneren Kräften in der Außenwelt Rechnung tragen zu können. Klarheit und Transparenz der inneren Motive sind hierbei von immenser Bedeutung. Ansonsten entsteht ein Konkurrenzkampf der eigenen Motive, der zum Kräfteverschleiß, aber auch zu Entwicklungsblockaden führen kann, welche in der Außenwelt als ein Auf-der-Stelle-Treten empfunden und enttarnt werden.
Oft glaubt man beim Nachdenken über einen Sachverhalt, dass die Gedanken, welche man im Moment des Abwägens in sich trägt, in der Tat die eigenen Leitmotive darstellen. Dies ist selten der Fall. Oft sind Gedanken nicht anderes als die Rationalisierung von Motiven, die der Person nicht bewusst sind. Das heißt, wir handeln selten nach Motiven, die wir kennen. Die Frage stellt sich nun, welche Motive uns wirklich bewegen und ob diese als Triebkraft für uns jeweils geeignet sind.
Als Kind müssen wir die Identität annehmen, die unsere Eltern von uns einfordern. Hier entsteht bereits die erste Diskrepanz zwischen der Person, die wir sind, und der, die wir sein müssen. Bei der Erziehung eines Kindes wäre die Aufgabe der Eltern, das Kind und seine Persönlichkeit zunächst kennen zu lernen. „Wer bist du?“ wäre hierbei ein guter Leitsatz. „So hast du zu sein“ ist allerdings in der Regel der Leitgedanke, demgemäß erzogen wird.
Wir stehen in direkter, essentieller Abhängigkeit von unseren Bezugspersonen. Also ist es lebenswichtig, den Forderungen der Eltern Folge zu leisten. Daher übernehmen wir in der Regel die Attribute, gar die Persönlichkeit, die uns vorgeschrieben werden. Wir übernehmen die uns diktierte Person, ihre Eigenschaften, ihre Ziele und Wünsche. Vielleicht nicht gänzlich in allen Bereichen, vielleicht nicht immer in der Tiefe, die gefordert wird, aber je nach Familien- und Beziehungskonstellation zu einem Teil oder zum Großteil. Um diese Aufgabe umzusetzen, müssen wir das Wertesystem der Bezugspersonen akzeptieren, ihre Gedanken- und Glaubenssätze teilweise oder gänzlich übernehmen, und damit übernehmen wir, wie bereits erläutert, die uns zugeschriebene Identität. Dieser Schritt impliziert die Verdrängung unserer eigenen Wünsche und zum Teil unserer Bedürfnisse. Er fußt auf der Unterdrückung der eigenen Gefühle. Denn Gefühle sind die Stimme der Instanz, welche in Konflikt mit Geboten und Verboten steht, die sich mit unserer wahren Identität nicht verzahnen. Um eine andere Person zu werden, muss die wahre Person in einem selbst stumm oder zumindest leise gestellt werden.
Nun geht es als erwachsene Person darum, die einst verdrängten Gefühle wieder wachzurufen, diese zu spüren. Denn mit ihnen sind die Ziele, Wünsche, Träume und Eigenschaften verbunden, die unsere tatsächliche Identität ausmachen. Dies ist kein leichter Schritt, denn Kinder werden über viele Jahre hinweg in einem Bildungssystem konditioniert, das den Fokus auf Gedanken und Struktur legt und nicht auf Gefühle und Interessen. Das heißt, der elterlichen Konditionierung folgt die schulische, wodurch wir uns immer mehr von unserer Gefühlswelt entfernen.
Um einen besseren Zugang zu unserer eigenen Gefühlswelt zu finden, muss man den alltäglichen Fokus umstellen. Das bedeutet, im Moment des Handelns, Interagierens und vor allem Entscheidens ist es nicht nur von Relevanz, welche Gedanken wir in uns tragen, sondern auch, wie wir uns mit der anvisierten Handlung oder Entscheidung fühlen. Dies ist eine Umgewichtung des inneren Fokus. Es ist, als würde man stets die eigenen Gefühle abhorchen, sie scannen, um alle Handlungs- und Entscheidungsschritte in Verzahnung mit ihnen zu vollziehen.
Der Genauigkeit halber sollte an dieser Stelle erwähnt werden, dass mit Gefühlen nicht Emotionen gemeint sind. Während ein Gefühl aus einer Person heraus entsteht, sind Emotionen als Gefühlswallungen, Gemütsreaktionen und somit im Kern als Reaktion auf einen äußeren Reiz zu betrachten.
Des Weiteren ist anzumerken, dass die erläuterte Vorgehensweise nicht für alle Personen hinreichend sein wird. Denn es gibt Personen, die einen Teil ihrer Gefühle gänzlich verdrängt haben. Ihnen wird es nicht gelingen, die verdrängten Gefühle abzuhorchen, indem sie ihre Aufmerksamkeit nach innen richten. In solchen Fällen ist die Zusammenarbeit mit einem Therapeuten vonnöten.
Halten wir fest, dass es das Ziel all der Bemühungen ist, eine Klarheit in Bezug auf die eigenen Ziele, Wünsche und Motive zu erzeugen. Hierzu verwenden wir das Gefühl als inneren Kompass, um den wahren, vor allem den eigenen Zielen näherzukommen.
Ein Beispiel: Der 26-jährige Mitarbeiter eines Beratungsunternehmens hat seine Stelle als Juniorberater seit kurzem angenommen. Er selbst sieht sich allerdings schon viel weiter oben in der organisatorischen Hierarchie. Am liebsten möchte er das Unternehmen als Geschäftsführer leiten. Er hat aber noch keine genaue Idee von den Aufgaben eines Geschäftsführers. Sein Fokus liegt auf der Rolle, der Position, nicht auf den zu erledigenden Aufgaben. Als er kurze Zeit darauf ein Angebot von einem Personalberater für die Stelle als Vorstandsassistent erhält, zögert er nicht lange und wechselt die Stelle und das Unternehmen. Hochemotional, voller Euphorie beginnt er einige Monate später seinen neuen Job. Erst das Alltagsgeschäft, die Erledigung der neuen Aufgaben und Tasks, die Notwendigkeit des sozialen Manövrierens auf der Top-Management-Ebene, also erst das Erleben und Durchleben der neuen Tätigkeit erzeugen ein Gefühl in ihm, ein Gefühl, das nicht gut ist. Sein innerer Kompass, sein Gefühl, sendet bereits Signale. Ab diesem Zeitpunkt weiß die Person, dass die neue Position ihren wahren, persönlichen Wünschen und Motiven nicht entspricht, aber sie will es nicht wahrhaben. Der junge Mann muss nun akzeptieren, was er im Grunde weiß. Die Diskrepanz besteht an dieser Stelle zwischen voneinander abweichenden Wünschen und Motiven, zwischen Motiven, die die Person als Kind von den Bezugspersonen übernommen hat, und Motiven, welche ihre eigenen sind. Die Herauskristallisierung ist ein Prozess, bei dem das Gefühl als Kriterium der Differenzierung von Wünschen, Zielen und Motiven dient.
Wenn einmal die Ausdifferenzierung der inneren Triebkräfte stattgefunden hat, hat man ein klares Ziel bzw. klare Ziele vor Augen, welche im besten Fall der Differenzierung als eigene betrachtet werden können. Nun kann alle Kraft in deren Verwirklichung investiert werden. Die Gefahr von Verschleiß durch konkurrierende Kräfte ist beseitigt, die Person agiert im Einklang mit der eigenen Berufung.
Insofern ist nun das innere Tauziehen, die innere Verhandlung um die wahren Ziele, Wünsche und Motive abgeschlossen, die innere Einheit und Kohärenz kann in Form gebündelter Kräfte nach außen projiziert werden. Man beginnt mit der Umsetzung der Ziele in der Außenwelt. Die Umsetzung allerdings ist nun viel konsequenter, viel zielsicherer, da kein Energieverschleiß vorliegt, ebenso werden innere Blockaden durch konkurrierende Kräfte vermieden.
Dieser Artikel ist zuerst erschienen im FORGHANI NEGOTIATIONS Newsletter von Foad Forghani.
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